Als wir von Jan St. Werner wissen wollen, warum Mouse on Mars seit einigen Jahren nicht mehr in der Medienstadt Köln leben, sondern in Berlin, erklärt er den Umzug vor allem mit privaten Gründen, sagt dann aber auch etwas Bemerkenswertes: „In Köln war immer klar, dass man dort eine bestimmte Zeit hat. Spätestens dann, als Leute nach Köln gezogen sind, um ihre Sachen zu machen, um dort elektronische Musik zu machen, da war mir klar: Das wird jetzt wie so ein ‚Seattle‘. Das ist ein Hype. Der wird auch irgendwann vorbeigehen. Und irgendwann tauchten dann diese schicken kleinen Designermöbelläden auf.“
Der Niedergang der Popkomm steht symbolisch für die Entwicklungen in Köln im neuen Jahrtausend. 2003 öffnet sich die Branchenveranstaltung zum ersten Mal dem breiten Publikum, um ihm die spannendste Musik des Jahres zu präsentieren. „Stars“ der Popkomm Public 2003 sind die Castingshowprodukte Alexander, Gracia und BroSis, die TV-Sternchen Yvonne Catterfield, Jeanette Biedermann und Oli P. sowie das Ex-Blümchen Jasmin Wagner. Die Popkomm 2003 ist nicht nur eine künstlerische Bankrotterklärung, sondern auch der Abgesang auf die Musikindustriemetropole Köln: Schon 2004 zieht die Popkomm nach Berlin (um dort über kurz oder lang endgültig einzugehen), der Fernsehsender VIVA folgt 2005, die Musikzeitschrift Spex 2007, die EMI 2013. Auch Musiker und prägende Labels wie Karaoke Kalk wandern ab.
Diese Sichtweise bestätigt Ekki Maas alias Ekimas, als wir ihn im Studio seiner Band Erdmöbel treffen. „Ja, hier macht so jeder sein Ding und so soll es auch sein. Horrorvorstellung ist, so was wie eine Hamburger Schule zu haben, wo man dazu gehören muss“, sagt er. „Die Kölner Mentalität ist schon sehr laissez-faire, und das ist außergewöhnlich. Da ist es in anderen Städten doch sehr viel hermetischer und gleichgeschalteter. Hier gibt es viele verrückte Leute“, erläutert er und erklärt gleich, warum gerade dies Erdmöbel nach Köln gezogen hat. „Wir sind ja ursprünglich eine Münsteraner Band“, erzählt er. „Aber wir fühlten uns da nicht besonders geliebt, und das war ein Grund wegzugehen in eine Stadt, wo man automatisch sofort geliebt wird.“ Er lacht laut. „Es ist zwar auch nicht immer toll, aber erst einmal irgendwie schön, wenn keiner sofort Widerworte hat, wenn man etwas abliefert. Das machen die Kölner nicht. Dadurch ist man erheblich freier, und man hat nicht die ganze Zeit das Gefühl: Vielleicht ist es doch nicht gut, was ich mache?“ Dieses Gefühl von Freiheit strahlen die elf Alben der Band aus. Sie enthalten Popsongs der kleinen Gesten, in denen sich Bläsersätze, melodieverliebte Bassläufe und kleinteilige Rhythmen mit fabulierlustigen Texten über die Schönheiten und Schrecknisse des Alltags mischen. „Das, was Musik gut macht, ist doch der Moment, wo man etwas hört und im allerbesten Fall eine Gänsehaut bekommt oder weinen muss“, sagt Ekimas. Sein Understatement und die Liebe zu Musik, die die ganz großen und die ganz kleinen Gefühle zulässt, durchzieht all unsere Gespräche mit Indiemusikern der Stadt. Sie lässt sich auch in den Songs hören. Bei Erdmöbel beispielsweise, die ohne Scheu den Easy-Listening-Songschreiber Burt Bacharach covern oder „Das Leben ist schön“ singen oder bei PeterLicht, der 2008 mit dem „Heimkehrerlied“ eines der gefühlvollsten Liebeslieder der letzten Jahre geschrieben hat. Pop ist in Köln nicht ein Abgrenzungsfeld, ein Schimpfwort.
PeterLicht, der sich schon 2001 herrlich unkonventionell in dem Song „Popkultur/Meide“ mit dem Thema auseinandergesetzt hat, sagt: „Da gibt es diese Selbstverständlichkeit vom Indie, dass man nicht zu den weichgespülten Pissern gehört, die den Pop konsumieren. Dass man eben zu den Harten gehört, die hart an der Wahrheit des Lebens entlangsegeln, sich die volle Breitseite geben und deshalb wirklich leben. Mich amüsiert das dann, ich finde das toll. Ich möchte auch hart sein, ich möchte auch relevant sein, aber letztendlich ist da natürlich immer ein Element der Sehnsucht in diesem Konzept. Dass man eben nicht Pop ist und dabei doch Pop ist.“
Unser Eintauchen in die Musikstadt Köln geht zu Ende. Zum Abschluss haben wir uns mit einer Reihe besonderer Lieblingsindiemusiker verabredet, um mit ihnen über den Sound der Stadt, ihre Musikszenen und das Lebensgefühl am Rhein zu sprechen. PeterLicht treffen wir in einem aus der Zeit gefallenen Oma-Café, in dem die Bedienungen noch Schürzen mit Schleifchen über dem Po tragen. Seine minimalistische Elektropopsingle „Sonnendeck“ wurde 2001 ein kleiner Hit. Seither vertritt er mit sechs herausragenden Alben und als Autor eine ganz eigene Version von postmodern politischem Pop. Er sitzt vor uns, freundlich lächelnd, die Unprätentiösität in Person und erläutert, warum er lieber in Köln bleibt: „Es stimmt, dass viele nach Berlin gehen. Und das empfinde ich als sehr, sehr gut. Das erzeugt einfach einen sehr großen Freiraum. Die Vorstellung, nach Berlin zu gehen, wo ja alle hingehen, um da zu sein, wo ‚es‘ stattfindet, ist für mich ein wahnsinniger Stressgedanke. Das produziert so viel Stress, dass ich in Berlin gar nicht mehr klar denken könnte. Hier in Köln ist das gerade genau das Gegenteil, dass gerade überall so luftige Räume entstehen.“ Und Raum für sich selbst braucht PeterLicht, der gerne auf jede Szenenzugehörigkeit verzichtet.
„Wenn ich höre, dass Bands extra in eine Stadt gehen, um den Sound dieser Stadt zu machen oder Teil einer Szene zu werden, dann erstaunt mich das total. Denn für mich ist ‚Szene‘ der Inbegriff von Stress und Abgrenzung“, sagt er. „Ich möchte das nicht. Ich wollte noch nie Teil einer Szene sein und bin das auch nie gewesen. Alles, was ich mit Szene verbinde, ist etwas, was ich nicht haben will in meinem Leben. Denn wenn ich Teil einer Szene bin, dann bin ich Teil einer Szene, aber nicht ich. Dann werde ich nur wahrgenommen als irgendwo im Ranking dieser Szene verortet.“ Aber er hat doch mit dem Kölner Produzenten Jochen Naaf aufgenommen, der auch Klee produziert hat. Und Klees Suzie Kerstgens hat wiederum mit den Kölner Bands Wolke (deren Keyboarder Benedikt Filleböck auf PeterLichts Album Das Ende der Beschwerde spielt) und Erdmöbel (deren Bassist Ekimas Produzent von „Sonnendeck“ ist) gearbeitet – Ja, ist dieses Durcheinander keine Szene? „Klar, man unterstützt sich, man kennt sich, man schätzt sich sehr“, antwortet PeterLicht, als wäre es in einem hart umkämpften Musikmarkt das normalste der Welt. „Aber eine künstlerische oder inhaltliche Gemeinsamkeit mit anderen Künstlern würde ich nicht sehen.“