Gelsenkirchen ist bestens geeignet für echte Entdeckungen. Denn den meisten Menschen geht es wohl so wie Silke und Hannah: Sie kennen zwei Aushängeschilder der Stadt, die Zoom Erlebniswelt und die Arena AufSchalke, haben aber sonst kaum Bilder im Kopf. Das ist eine gute Voraussetzung für eine echte Expedition. Der Pioniergeist ist geweckt und so geht’s mit reisefreudiger Unvoreingenommenheit und experimentierfreudiger Neugier auf in eine Stadt, die viel Raum für eigene Erkundungen und persönliche Erlebnisse lässt.
Zunächst: Überblick verschaffen
Gleich nach der Ankunft am Hauptbahnhof wird unsere Expeditionsfähigkeit getestet: Google Maps zeigt an, dass wir den Busbahnhof erreicht haben. Aber wir sehen ihn nicht. Wir drehen uns in alle Richtungen, gehen hier ein paar Schritte, schauen dort um die Ecke. Erst als wir Hilfe suchend zum Himmel blicken, kommt die Erleuchtung: Wir müssen eine Treppe hoch, die Busse fahren eine Ebene höher. Prüfung bestanden, los geht’s!
Mit dem Bus fahren wir mit dem Ziel "Halde Rheinelbe" in den Süden und steigen an der Haltestelle Halfmannsweg aus. Der kurze Fußmarsch zur Halde macht uns die Entstehungsgeschichte dieser Berge des Ruhrgebiets noch einmal klar: Wir laufen vorbei an roten Backsteingebäuden der ehemaligen Zeche Rheinelbe und erinnern uns daran, dass die Halden ja nichts anderes sind als große Haufen unbrauchbaren Gesteins, das bei der Kohlegewinnung unterirdisch abgebaut worden ist.
Was so technisch klingt, macht ganz schön was her: Oben auf der Halde haben wir einen beeindruckenden Weitblick über die Region, die erstaunlich grün ist. Und da am Horizont hinter den dichten Baumkronen – ist das nicht der Gasometer Oberhausen? Und lässt sich da nicht die Zeche Zollverein erkennen? Wir könnten noch ewig hier stehen und staunen, sind aber ja erst am Anfang unserer Tour und machen uns weiter auf den Weg.
Es geht Richtung Bochumer Straße, dem Zentrum des Stadtteils Ückendorf. Mitten im Grünen entdecken wir auf unserem Weg noch die Forststation Rheinelbe. Hier gibt es verschiedene Programme rund um die Themen Umwelt und Nachhaltigkeit. Heute aber treffen wir nur auf ein verschlossenes Gebäude im Wald.
Murals und Mandel-Lemon-Tarte
Murals an den Hauswänden, hier ein Urban-Gardening-Projekt, da ein Café, drüben eine Veranstaltungskirche und ein kleines Studio namens „GeOrgel“ – wir sind mitten im Stadtteil Ückendorf angekommen. Genauer gesagt auf der Bochumer Straße, einer Zentralachse des Viertels. Aber der Reihe nach. Zuerst schlendern wir auf ein paar Seitenstraßen durch die ehemalige Arbeitersiedlung Flöz Dickebank, eine der ältesten im Ruhrgebiet. Anfang der 70er-Jahre drohte der Werkssiedlung der Abriss, doch die Bewohnenden leisteten Widerstand. Zum Glück. So können wir hier über die Straßen spazieren, befestigte Bürgersteige gibt es nämlich nicht, und haben das Gefühl in eine andere Zeit gefallen zu sein. Die ältesten Häuser stamme aus den 1870er Jahren, nach und nach wuchs die Siedlung dann jeweils im Stil der jeweiligen Zeit, inzwischen auch angereichert um Farbtupfer von heute, etwa einem besonders bunten Gartentor.
Zurück auf der Bochumer Straße geht die Zeitreise weiter, wir entdecken einen kleinen Laden, der bestückt ist mit dunklen, wuchtigen Möbeln. Ist das Gelsenkirchener Barock? „GeOrgel“ heißt das Studio, das sich selbst als „Mix aus Oma-Wohnzimmern als Upcycling und Atelier für Raritäten“ bezeichnet. Leider geschlossen, nur an Wochenenden geöffnet. Wir spähen hinein und sehen Schubladen zum Öffnen, die Überraschungen versprechen. Ein Ort für Entdeckungen.
Zeit für Kaffee und ein zweites Frühstück. Im Café Ütelier ist alles handgemacht und wir können uns kaum entscheiden zwischen süß und herzhaft. Daher gibt’s ein Tomate-Mozzarella-Brötchen und zwei Kuchen, Himbeere und Lemon, zum Teilen. Köstlich! Auch die Einrichtung gefällt uns richtig gut: Industriecharme, ein Mix aus stylischen und antiken Möbeln und ein großer Außenbereich. Hier bleiben wir erstmal.
Bevor wir unsere Reise Richtung Norden antreten (natürlich mit der Bahn), wollen wir unbedingt noch am Mural „Der Schmetterlingsfänger“ vorbeischauen. Direkt am Lidl-Parkplatz ist eine Interpretation des Bildes von Carl Spitzweg zu sehen. Eine Überführung in die heutige Zeit. Ein besonders beeindruckendes Bild, für das sich der kurze Umweg gelohnt hat. Aber jetzt heißt es: Rein in die Bahn und ab in den Norden!
Einst Ort der Arbeit, heute Oasen der Erholung
Mit der Bahn sind wir schnell am ehemaligen Bergwerk Zeche Consolidation, heute Kulturgebiet Consol. Leider hat sich der Himmel verdunkelt, es sieht nach Regen aus. Aber wir sind ja nicht aus Zucker und unser Pioniergeist lässt sich heute sowieso nicht mehr einfangen. Wir schlendern über das Gelände, passieren ein Fördergerüst, Maschinenhallen, in denen mitunter Ausstellungen zu sehen sind, und Plätze für Boule, Basketball und andere Sportarten. Am anderen Ende bietet uns die Erdbrüggenstraße wieder ein Fenster in die Vergangenheit: Eingerahmt von unbefestigten Bürgersteigen und kleinen Häuschen fühlen wir uns in die Zeit um die Jahrhundertwende versetzt – nur die geparkten Autos stören den malerischen Gesamteindruck.
Wir nutzen noch einmal die Bahn, die bequeme Beschleunigungsmöglichkeit des Stadtwanderns, und lassen uns ein Stückchen weiter in Richtung Norden des Stadtteils Bismarck fahren. Dort erwarten uns Wasserwege, die als weitere Zeugen des Strukturwandels nicht mehr der Arbeit, sondern der Erholung dienen. Der neue Hafen, genannt Stölting Harbor, ist nicht nur ein Yachthafen und exklusiver Wohnort, sondern auch ein Ausgangspunkt für Schiffsausflüge auf dem Rhein-Herne-Kanal. Diese Wasserstraße wird auch heute noch für den Transport von Kohle, Stahl und Schrott genutzt, aber viel weniger als einst, so dass wir beim Spaziergang am Ufer entspannt abschalten können und kein bisschen an Arbeit denken müssen. Allerdings ist in der Ruhe ein Magenknurren gut zu hören, das trifft sich gut: Wir sind ja sowieso auf dem Weg zur letzten Station unserer Tour: Der Kult-Pommesbude von Curry Heinz. Eine ordentliche Portion Pommes rot-weiß kommt hier auf den Tisch und ein eigenes Bier ist auch im Angebot. Hier kommt die Wurst vom Metzger, jeden Morgen frisch. Und seit neuestem gibt es auch vegetarische Varianten, so erfahren wir beim Bezahlen. Probieren wir beim nächsten Mal, heute passt nix mehr rein, Bauch und Kopf sind voll von vielen neuen Eindrücken und Kostproben dieser Stadt.
Unsere Tipps für Dein Erlebnis
- Achte auf deine Farbkombi: Blau-Weiß wird hier sehr gern gesehen, Schwarz-Gelb als Farben des Erzrivalen Borussia Dortmund aber überhaupt gar nicht.
- Pause mit Plausch gibt's an einem der für das Ruhrgebiet typischen Büdchen: Bei einem kühlen Getränk ist ein nettes Pläuschchen immer inklusive.
- Mit dem Rad kannst Du auch auf Tour gehen, von einem Ort der Industriekultur zum anderen oder entlang der Wasserstraßen.