Gestern noch Fabrik, heute schon Museum. Auf kaum ein anderes Industriemuseum trifft das so zu wie auf die Gesenkschmiede Hendrichs in Solingen. Denn quasi über Nacht wurden im Jahr 1986 aus den ehemaligen Mitarbeitern der Scherenschmiede Museumsangestellte. Für eine symbolische D-Mark hatte der Landschaftsverband Rheinland die alte Fabrik gekauft und schon einen Tag nach der Schließung als produzierendes Museum wieder geöffnet.
„Ein echter Glücksfall - für die Mitarbeiter ebenso wie für die Besucher.“
Schauplatzleiterin Nicole Scheda
Denn auch während der zehnjährigen Umbauphase blieb das Museum geöffnet. Und wer kann schon besser und authentischer von der Arbeit in der Dampfschleiferei, am Riemenfallhammer und an der Spaltpresse erzählen als die Männer, die hier mitunter jahrzehntelang selbst den handgemachten Leisten in das Gesenk gepresst und den Scherenrohling hergestellt haben? Einer von ihnen, mittlerweile über 80 Jahre alt und schon als Lehrling in der Gesenkschmiede Hendrichs tätig, tut es noch heute mit Begeisterung.
Staub, Lärm und unerträgliche Hitze
Thomas Pludra hingegen ist zu jung, um die historische Fabrik noch in vollem Betrieb erlebt zu haben. Der gelernte Schlosser und Messermacher kennt sie trotzdem wie vermutlich kein anderer. Jeden Hammer in der großen Halle hat er schon einmal bedient. Jedes Gesenk, von denen hunderte noch auf den hölzernen Werkbänken liegen, hat er schon einmal in der Hand gehabt. Begriffe wie „Butze“, „Muffel“ und „Pliesten“ gehen ihm wie selbstverständlich über die Lippen und seine Begeisterung für das, was er den Besuchern hier jeden Tag und nicht nur bei Führungen präsentieren kann, steckt jeden sofort an.
„Was meinen Sie, was hier los ist, wenn ich den Diesel anschmeiße?“ Der riesige Motor ersetzte irgendwann die alte Dampfmaschine, die seit der Firmengründung für den Antrieb der Hämmer und Pressen gesorgt hatte, und die ebenfalls noch zum Inventar des Museums gehört. „Wenn wir wollten“, so Thomas Pludra durchaus ein bisschen stolz, „könnten wir noch heute ganz ohne Strom produzieren“. Es bräuchte halt nur ein paar Petroleumlampen für die Beleuchtung.
Das klingt romantisch, aber das Gegenteil war wohl der Fall. Denn es muss ein ungeheurer Lärm gewesen sein, wenn an den insgesamt drei Schmiedelinien im Sekundentakt die schweren Hämmer hinabfielen und aus dem glühenden Stück Stahl einen Scherenrohling formten. Die Luft voller Ruß, so dass man die eigene Hand kaum vor Augen sah. Dazu eine unerträgliche Hitze durch die zahlreichen Öfen, in denen der Stahl zum Glühen gebracht wurde. „Temperaturen bis zu 70 Grad herrschten in der Maschinenhalle“, weiß Thomas Pludra, während er den Hebel vor sich nur ganz kurz loslässt. Es gibt einen lauten, dumpfen Knall. Fast fertig ist der Scherenrohling. Fehlt nur noch das Auge. Allein ein Arbeiter schaffte 700 bis 900 solcher Rohlinge. In der Stunde, wohlgemerkt.
Besucherwerkstatt
Vergleichsweise leise geht es nebenan an der Stanze zu. Maschinen aus nahezu allen Generationen der industriellen Scherenproduktion stehen in der Halle. Die jüngste stammt aus den 1970er Jahren. Klack! Schon fällt das erste ausgestanzte Auge in einen Eimer, der fertige Rohling in einen anderen. Klack! Der nächste! Klack! Wenn Thomas Pludra dabei ist, dürfen auch die Besucher selbst mal auf das Pedal treten. Doch immer gilt: Finger weg! Immerhin wirkt an der Maschine eine Presskraft von 35 Tonnen.
Überall im Museum gibt es Stationen, die auch für Kinder geeignet sind, an denen Begriffe wie Presskraft, Kraftübertragung und Leisten spielerisch und ungefährlich erklärt werden. Rund um die Maschinen wurden kleine Zäune errichtet. Denn im gesamten Museum geht Sicherheit vor. Somit auch im Obergeschoss, wo kleine Werkstätten aus dem Umland originalgetreu wieder aufgebaut wurden, in denen die Scherenrohlinge früher weiterverarbeitet, geschliffen und zusammengesetzt wurden.
Auch hier läuft an manchen Tagen „ganz normaler“ Betrieb und es gibt sogar einen Scheren-Schleif- und Reparaturservice für Jedermann. „Denn wir verstehen uns nicht ausschließlich als Museum“, erklärt Leiterin Nicole Scheda, „sondern auch als Besucherwerkstatt“. In Zukunft möchte sie deshalb weniger Sonderausstellungen anbieten und stattdessen das Mitmach-Angebot für Familien weiter ausbauen. Thomas Pludra hört’s gern und heizt schon mal die Öfen an.
- Tourismus NRW e.V.
- Tourismus NRW e.V.
- Tourismus NRW e.V.
- Tourismus NRW e.V.