Die alten Holzdielen knarzen ein wenig, als wir das „blaue Zimmer“ betreten. Es ist ein großer, hoher Raum, die Wände in helles Blau getüncht. In der Mitte ein großer Holztisch. Der rote Teppich darunter ist schon etwas abgewetzt. In den Schränken stehen dutzende asiatische Figuren, darauf Krüge, alte Kupferkessel und allerhand andere Andenken. Zwischen den Bildern an den Wänden fällt der Blick irgendwann auf einige Schwarz-Weiß-Fotografien der Familie Pankok. Vater Otto, Mutter Hulda und Tochter Eva, die noch bis zu ihrem Tod im Jahr 2016 hier gelebt hat.
Heute besuchen Kunstliebhaber sowie auch zufällig vorbeikommende Radfahrer die Hofanlage im niederrheinischen Hünxe. Ein ländliches Idyll zwischen Feldern und Wäldern direkt am Ufer der Issel, die an diesem herrlichen Sommertag leise vor sich hinplätschert, derweil ein paar Hühner durch die wild wuchernde Blumenwiese laufen und sich von nichts und niemandem stören lassen.
Als Otto Pankok das Haus Esselt und die angrenzende Scheune im Jahr 1958 erwarb, lagen viele entbehrungsreiche Jahre hinter ihm. Mehrfach hatte die Familie untertauchen müssen. Sowohl Otto, zuvor Professor an der Kunstakademie Düsseldorf, als auch Hulda, ihres Zeichens kritische Journalistin und Verlegerin, waren von den Nationalsozialisten mit Berufsverbot belegt worden. Zudem hatten traumatische Erfahrungen zweier Weltkriege ihre Spuren hinterlassen.
Schwarz und weiß
Gleichwohl war Otto Pankok Zeit seines Lebens von einem tiefen Humanismus und inniger Liebe zur Natur geprägt, wie man es auch in seinen Arbeiten erkennt. Auf den ersten Blick scheinen die kleinen und großen Holzschnitte und Kohlezeichnungen düster, die überall im Haus an den Wänden hängen. Das meterhohe Selbstporträt etwa, das die Besucher direkt im Eingangsbereich empfängt, zeigt einen vom Leben gezeichneten Mann mit dichtem Bart und tiefen Augen. Und auch in seinen Landschaftsdarstellungen, deren Motive der Künstler auf den Feldern und Wiesen unter anderem rund um Haus Esselt fand, gibt es fast nur Schwarz und Weiß.
Leuchtenden Farben verweigert sich der Künstler. Und doch erzählen all seine Werke Geschichten – vom Leben der Menschen, für die er sich einsetzt. Es sind Verfolgte wie das junge Sinti-Mädchen „Ehra“, deren Skulptur wie eine Mahnung an die Menschlichkeit vor dem Kamin im „blauen Zimmer“ steht. Auch die Jünger seiner 60-teiligen Passion tragen die Gesichtszüge der Verfolgten. Und in den Gesichtern der Häscher glaubt man die Fratze des Nationalsozialismus zu erkennen.
Museum wird umfangreich umgebaut
Teile dieser umfangreichen Arbeit, die bei längerem Betrachten die Lebens- und Leidensgeschichten der Portraitierten erahnen lassen, werden voraussichtlich ab 2021 wieder im Pankok Museum ausgestellt. Derzeit wird die Scheune neben Haus Esselt, in der schon Hulda und Eva Pankok das Werk ihres Ehemannes und Vaters nach dessen Tod im Jahr 1966 der Öffentlichkeit zugängig machten, umfangreich saniert. Insgesamt rund 10.000 Arbeiten von Otto Pankok sind heute im Besitz der Otto Pankok Stiftung, die die Hofanlage zu einem Ort der Begegnung und Besinnung mitten im Grünen machen will. Allein 500 Kohlezeichnungen zeigen das Leben der Düsseldorfer Sinti im Düsseldorfer Heinefeld.
Darüber hinaus verfügt die Stiftung über den gesamten Briefwechsel der Familie, unter anderem mit Künstlerfreunden wie Otto Dix, Ernst Barlach und Else Lasker-Schüler, sowie über 780 originale Druckstöcke. Aufgereiht stehen sie in Pankoks alter Druckwerkstatt. Eine schmale Holztreppe führt hinauf ins Obergeschoss. Die Stufen sind abgewetzt und schief. Oben angekommen, riecht es nach Holz und Farbe. Als mache der Künstler nur eine kurze Schaffenspause. Über der alten Werkbank mit den vielen Gebrauchsspuren hängt, ganz unscheinbar, Otto Pankoks wohl bekanntester Holzschnitt. Es zeigt Christus, wie er ein Gewehr zerbricht. Es ist d a s Symbol der Friedensbewegung in den 1980er Jahren.
Landschaftsrucksack mit Kohle und Papier
Doch es waren nicht nur die Menschen, die Verfolgten und vom Leben Gezeichneten, denen sich Otto Pankok Zeit seines Lebens verbunden und vielleicht auch verpflichtet fühlte. Auch verband den Künstler eine besondere Liebe zur Natur. Viele der heute prägenden Bäume hat er noch selbst gepflanzt. Außerdem blühen heute Streuobstwiesen und Blumenfelder rund um die idyllische Hofanlage. Und tatsächlich hat man ihn vor Augen, wie er im Schatten der alten Magnolie vor dem Haus oder am Ufer der Issel auf einem der rostigen Gartenstühle sitzt und zeichnet.
Heute führt hier ein kleiner Kunstpfad entlang. Ausgestattet mit dem im Museum erhältlichen Landschaftsrucksack samt Kohle, Bleistift und Papier zieht es Kinder ebenso wie Erwachsene hinaus ins Freie, um es Otto Pankok gleichzutun und sich als Landschaftsmaler zu versuchen. Bevor sie noch einmal einen Blick ins Innere des Hauses werfen – in die große Wohnküche zum Beispiel mit der hölzernen Eckbank und den kleinen blau-weißen Kacheln an der Wand. Oder ins Kaminzimmer mit den Biedermeier-Möbeln, auf denen die Besucher dann sitzen und Kaffee trinken. So, als hätten Otto, Hulda und Eva Pankok sie höchstpersönlich zu sich eingeladen.