Mehr als zwei Meter misst die Statue in der Mitte des orangefarbenen, lichtdurchfluteten Raums. Es ist der „Borghesische Fechter“. Ein kräftiger, nackter Mann. Vermutlich ein Krieger, der seinen linken Arm zur Abwehr weit nach vorne streckt. Doch es ist nicht das Original aus der Antike, dessen Marmorkopie man im Jahr 1611 in der Nähe von Rom fand. Diese befindet sich im Pariser Louvre. Der „Borghesiche Fechter“ im Begas Haus in Heinsberg ist aus Gips, stammt aus dem 3-D-Drucker und veranschaulicht beeindruckend das moderne Konzept des 2014 neu eröffneten Museums für Kunst und Regionalgeschichte.
In zehn farblich unterschiedlich gestalteten Räume wird das Leben und Werk der Künstlerdynastie Begas nachgezeichnet und mit der regionalen Geschichte des rheinischen Kreises verknüpft. Der „Borghesische Fechter“ steht im Raum „Akademie und Atelier“, umrahmt von Porträtmalereien und dem großformatigen Gemälde „Heiliger Johannes in der Wüste“, das Carl Joseph Begas d.Ä. zu Beginn des 19. Jahrhunderts kopierte und schon als junger Mann zum bedeutenden Künstler seiner Zeit aufstieg.
Marketing um 1900
„In Deutschland war die Familie Begas jedoch lange in Vergessenheit geraten“, erklärt Dr. Rita Müllejans-Dickmann. Dabei war der Name Carl Joseph Begas (damals noch: Begasse) einst nicht nur in Berlin „omnipräsent“ gewesen, wie die Kunsthistorikerin weiß. Im Jahr 1794 in Heinsberg geboren, zieht Carl Joseph bereits acht Jahre später mit seinen Eltern nach Köln. Hier bekommt er als Neunjähriger erstmals Zeichenunterricht, schreibt sich 1813 an der Pariser „École des Beaux-Arts“ ein und macht schon als junger Maler auf sich aufmerksam. Später wird er zum preußischen Hofmaler ernannt.
Sein Sohn Reinhold, der wie drei seiner fünf Geschwister ebenfalls Maler und Bildhauer wird, gehört schließlich um 1900 zu den berühmtesten Deutschen weltweit. Sein Konterfei findet sich auf Zigarrenbanderolen, Margarineschachteln, Tassen und Tellern. „Eine Art frühes Marketing...“, so die Museumsleiterin. Gleichwohl bleibt er der einzige, dem die Alte Nationalgalerie damals keine Retrospektive widmete. Denn der einst bedeutendste Bildhauer des wilhelminischen Herrscherhauses, der unter anderem das Bismarckdenkmal vor dem Reichstag und das Nationaldenkmal für Kaiser Wilhelm II. auf der Schlossfreiheit geschaffen hatte, überwarf sich beim Bau der Siegesallee 1901 mit dem Kaiser. Der Grund waren, so heißt es, künstlerische Differenzen.
Kopf und Kragen riskiert
Doch zurück nach Heinsberg. Die Geburtsstadt des Gründers einer Dynastie, die über vier Generationen reicht, verfügt heute über die größte Begas-Sammlung überhaupt.
„Nicht einmal die Alte Nationalgalerie in Berlin hat mehr Werke als wir“,
sagt die Museumsleiterin durchaus ein wenig stolz und erinnert sich an eine kleine Anekdote. So habe ihr Vor-Vorgänger einst Kopf und Kragen und sogar ein Disziplinarverfahren riskiert, nur um nach dem Zweiten Weltkrieg ein erstes Begas-Werk wieder nach Heinsberg zu holen. „Er hat damals sein gesamtes Jahresbudget für nur ein Bild ausgegeben“, erzählt Müllejans-Dickmann und fügt gleich hinzu: „Zum Glück. Sonst wäre die Lureley vermutlich in irgendeiner Weinstube am Rhein gelandet.“ Ist sie nicht. Heute ziert das großformatige Gemälde der romantischen Rheinsage aus dem Jahr 1835 eine ganze Wand im Torbogenhaus, das 2007 um das denkmalgeschützte Haus Lennartz erweitert und zum neuen Museum umgebaut wurde.
Heinsberger Mona Lisa
Das Gebäudeensemble mitsamt dem Torbogen, durch den man direkt in die Heinsberger Innenstadt gelangt, stammt aus dem 16. bis 18. Jahrhundert. Vom Innenhof mit dem kleinen Museumscafé blicken Besucher direkt auf die Stiftskirche St. Gangolf. Eine Perspektive, die ihnen womöglich bekannt vorkommt. Richtig. Gleich im ersten Ausstellungsraum, der wie die Stube des einstigen Probstes Anton Lambert Begas(se) gestaltet ist, hängt ein kleines Ölgemälde aus dem Jahr 1851. Es stammt von Carls Sohn Oscar, der dem Vater stets eng verbunden war. Zu sehen ist neben der Gangolfus-Kirche ein weiteres Gebäude, vermutlich die erste Münzprägeanstalt der Stadt Heinsberg, die jedoch bereits in den 1850er Jahren zerstört wurde. Rita Müllejans-Dickmann vermutet, dass das Bild die einzige verbliebene Ansicht aus dieser Zeit ist.
Wie bei diesem kleinen Gemäldes schließt sich auch beim weiteren Rundgang immer wieder der Kreis zwischen der Familie Begas und der Regional- und Kulturgeschichte des Kreises Heinsberg. So ist etwa das (rote) „Familienzimmer“ mit Porträtmalereien aus mehreren Generationen ganz im Stil des Biedermeier eingerichtet. Im Nebenraum wird unter einer großen, historischen Glocke der Kirchenschatz von St. Gangolf präsentiert. Es gibt ein „Kino der Klassiker“, einen mit sechs roten Kinosesseln ausgestatteten Raum, in dem Besucher noch mehr über die Familie Begas erfahren. Und auch die „Heinsberger Mona Lisa“ darf in der Sammlung natürlich nicht fehlen. Es ist eines der ersten Gemälde, das Carl Joseph Begas d.Ä. im Jahr 1821 unter dem Einfluss der italienischen Renaissance schuf. Es zeigt, mit aller Wahrscheinlichkeit, die Schwester des Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy.
Suche nach den eigenen Vorfahren
Leider vergeblich sucht man den Namen Begas, dessen Schreibweise im Laufe der Jahrhunderte variiert, indes im Bürgerbuch der Stadt aus den Jahren 1726 bis 1794. Die Familie war bereits in der Stadt ansässig, als man es für die Registrierung von Neubürgern anlegte und das noch im Original erhalten ist. Dieses wird sicher im Kreisarchiv aufbewahrt. Für die Museumsbesucher wurde es jedoch digital aufbereitet. An einer Stele im Foyer des Begas Hauses können sie nun darin blättern und nach ihren eigenen Vorfahren suchen. Und wer weiß, vielleicht war ja auch ein begnadeter Maler darunter.