15 Jahre lang ist Olivier Kruschinski zu jedem Spiel seiner Mannschaft, dem FC Schalke 04, gefahren. Er hat auf der Tribüne gejubelt und mitgelitten, wenn es mit der Deutschen Meisterschaft wieder mal nicht geklappt hat. Die Leidenschaft für die Königsblauen hat er schon mit seinem Vater geteilt, und er selbst hat sie an seinen Sohn weitergegeben. „Der erste Gang nach der Geburt“, erzählt der Mittvierzieger mit einem Grinsen, „ging nicht etwa zum Standesamt. Nein, der ging gleich ins Vereinsheim zur Anmeldung“. Das muss wahre Liebe sein. Ist es auch. Wer Olivier heute allerdings als Schalke-Fan bezeichnet, „der beschimpft mich. Ich bin nicht Fan, ich bin Schalker! Schalker sein ist Teil meiner Identität und somit auch die Antwort auf die Frage: Wer bin ich eigentlich?“ DeinNRW hat Olivier Kruschinski in dem vielleicht berühmtesten deutschen Stadtteil getroffen.
- Ralph Sondermann, Tourismus NRW e.V
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Natürlich steht Olivier, den sie in seiner Heimatstadt gern auch Oli4 nennen, nach wie vor hinter seinem Team. Wichtiger als die Profi-Fußballer im Stadion sind ihm heute allerdings die Menschen in Schalke. In jenem Stadtteil also, dessen Namen zwar jeder Fußballfan auf der Welt kennt, in dem aber kaum einer von ihnen jemals war. Kruschinski will das ändern und das Gemeinschaftsgefühl in der Heimat von Vereinslegenden wie Ernst Kuzorra, Fritz Szepan und Reinhard „Stan“ Libuda wieder stärken. Seit einigen Jahren schon führt er deshalb Besuchergruppen durch sein Schalke und nimmt sie wie in einem riesengroßen Freilichtmuseum mit zu den Stätten an denen die Schalker DNA begraben liegt. Auf Halde Rheinelbe und vor der repräsentativen Jugendstilfassade von Schacht 8 der einstigen Zeche Consolidation weiß er aber mindestens genauso viel Interessantes über die Geschichte der einstigen Bergbau-Hochburg zu berichten. Auf anderen Touren, egal ob zu Fuß oder joggend, mit dem Rad oder auch mit dem Bus, steuert Olivier mit seinen Mitreisenden gern auch die anderen Halden im Stadtgebiet an. Er mag den weiten Blick, den man von hier über das längst wieder grüne Ruhrgebiet mit den vielen, über das ganze Land verteilten Stätten der Industriekultur hat.
„Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen und Zukunft gestalten.“
Olivier Kruschinskis Leitmotiv
In der Geschichte Gelsenkirchens untrennbar miteinander verbunden sind, natürlich, die Kohle und der Fußball. Denn der Essener Unternehmer Friedrich Grillo holte vor 150 Jahren zigtausende Bergarbeiter aus Polen ins Revier. Das beschauliche Gelsenkirchen wuchs zur ansehnlichen Großstadt mit 400.000 Einwohnern. Und der FC Schalke 04 war so etwas wie die erste „Werkself“. Denn auch die 14-jährigen Jungen fuhren hier in den 1930er/40er Jahren tagsüber in den Schacht.
„Fussball war für sie dann ein Ventil für einmal die Woche rauskommen - Kirche - Kneipe - Kurve - Kopf frei kriegen und die eigenen Wünsche, Träume und Hoffnung aufs Spielfeld projezieren.“
Heute leben „nur“ noch 250.000 Menschen in der zentralen Ruhrgebietsstadt. Denn der Bergbau verschwand und mit ihm die Bergarbeiter. „Ihr Schalke“ aber nahmen die Menschen mit, „weshalb es heute überall im Land Schalke-Hochburgen gibt“, wie Olivier Kruschinski weiß. Wenn also samstags in der heutigen Veltins-Arena, die übrigens nicht etwa in Schalke, sondern genau in der geografischen Mitte von Gelsenkirchen, im Stadtteil Erle, steht, ein Heimspiel des Bundesligisten FC Schalke 04 angepfiffen wird, bedeutet das für viele Fans eine mehrere hundert Kilometer lange Anreise.
„In Städten wie Liverpool wäre dieses Stadion längst eine Pilgerstätte für Fussballfans aus aller Welt“
Die Besucher, die ihn an diesem Tag auf seiner „Mythos-Schalke“-Tour begleiten, nicken, bevor sie nebenan im rustikalen Vereinsheim mit dem Charme der 1960er Jahre auf Ernst-Kuzorra seinem Stammplatz nacheinander Platz nehmen und sich fotografieren lassen. Sie atmen Geschichte. Vereins- und Stadtgeschichte. Und wenn Olivier dann davon erzählt, wie er als Kind selbst einmal seinem Idol – dem Mann also, der Schalke trotz eines Leistenbruchs 1934 zur ersten Deutschen Meisterschaft schoss und so zur lebenden Legende wurde - ein Bier und einen Kurzen servieren durfte, schwingt auch bei ihm ein bisschen Stolz und Ehrfurcht mit.
Gleichzeitig bedauert der Gelsenkirchener Stadtführer mit dem ungewöhnlichen Tattoo am Bein und dem lockeren Umgangston, dass erst nach und nach das Potenzial erkannt wird, das in diesem Stadtteil und seiner bewegten Geschichte steckt. Der viel besungene Schalker Markt etwa ist heute ein abgenutzter Parkplatz („ich habe nie gesagt, dass Schalke nur schön ist“). Die alte Bahntrasse von Zeche Consol, die einst sozusagen Geburtsort des „Polacken- und Proletenclubs“ S04 war, ist stillgelegt. An den Stätten der Industriekultur bahnt sich längst die Natur wieder ihren Weg und verwandelt sie in nahezu geheimnisvolle Orte, die zum Entdecken einladen.
So ein Ort ist auch die Kirche St. Joseph. Denn außerhalb von Gelsenkirchen weiß wohl kaum jemand, was sie Einzigartiges zu bieten hat. Ein Kirchenfenster nämlich, direkt gegenüber der Heiligen Barbara, der Schutzpatronin der Bergleute, zeigt den Heiligen Aloisius – mit Fußballschuhen, Stutzen und Fußball. Olivier Kruschinski kennt weltweit keine andere Kirche, die etwas Ähnliches hat. Er selbst hat sich das Fenster sogar auf seine linke Wade tätowieren lassen.
„Denn das ist unsere DNA. Und wir sind stolz darauf.“
Olivier Kruschinski über das Fenster in der Kirche St. Joseph
Umso mehr freut es den umtriebigen und bekennenden Lokalpatrioten, der so ganz nebenbei auch noch einen Fußball-Reiseführer geschrieben und das Label „Echte Legenden“ gegründet hat, dass „die Körner langsam Wurzeln schlagen“. Seit das Projekt „Schalker Meile“ im Jahr 2006 mit dem Engagement für den Stadtteil begonnen hat, haben sich Fan-Initiativen wieder hier angesiedelt. Schilder wurden erneuert, Fassaden gestrichen. Nahezu die gesamte Straße ist – mit Ausnahme eines gelben Hauses - Blau und Weiß. Und im Quartiersbüro des Projektes Schalker Meile gibt es Schals und Shirts mit Förderturm und Aufschriften wie „Eine Stadt, ein Gruß! Glückauf aus Gelsen“.
„Vor Heimspielen ist hier der Teufel los.“
Die Schalker kehren wieder zurück nach Schalke, versammeln sich an der Kirche St. Joseph, in der eine blau-weiße Wand mit Fanpost, Schals und Trikots von der Verbundenheit der Menschen mit ihrer Stadt und dem Verein zeugt. Und sie feiern friedlich mit den Fans der gegnerischen Mannschaft.
Drei Fragen an Oli4
Waschechter Schalker
Olivier, Du hast 48 Stunden freie Zeit. Was würdest Du mit dieser Zeit auf jeden Fall in NRW machen?
Olivier: Jetzt sofort? Ein ganzes Wochenende? Das ist ganz einfach. Bei dem schönen Wetter würde ich mich spontan aufs Rad setzen und den Ruhrtal-Radweg fahren. Mit meiner Clique mache ich einmal im Jahr so eine Radtour. Das ist super. Du kannst ja in NRW überall toll Rad fahren, vor allem auf den vielen stillgelegten Bahntrassen.
Welchen Ort in NRW hast Du zuletzt für Dich neu entdeckt?
Olivier: Oje … das ist schwierig. Ich mach ja seit 20 Jahren nix anderes als NRW. Doch, da fällt mir was ein: Ich war neulich das erste Mal am Silbersee in Haltern. Einen Tag Strandgefühl mitten im Ruhrgebiet, das war schon cool. Früher bin mit dem Motorrad oft da vorbeigefahren, aber mit Kindern erlebt man die Gegend natürlich noch einmal ganz anders.
Dein persönlicher Lieblingsplatz in NRW.
Olivier Kruschinski: Ganz klar, Schalke. Was sonst? Aber grundsätzlich bin ich am liebsten dort, wo ich wohne. Nämlich in Ückendorf, mit Blick auf die Halden Hohewart und Rheinelbe und direkt an der alten Bahntrasse. Hier kann ich laufen und Rad fahren. Hier bin ich zu Hause.