New Fall Festival Tonhalle, © Andreas Schiko

Die Reportage zum Sound of Düsseldorf


Die ganze Düsseldorfer Pop-Historie von damals bis heute

Als Popmetropole ist Düsseldorf ein Phänomen: Eigentlich ist die Hauptstadt des größten deutschen Bundeslandes viel zu klein, um internationale Beachtung zu finden. Doch immer wieder wird sie Geburtsort ungewöhnlicher Szenen, Bands und musikalischer Trends. Kraftwerk ist die prototypische deutsche Popband, die wichtige Impulse bei der Entstehung von New Wave, Hip-Hop und Techno gegeben hat. NEU! ist die in Deutschland lange Zeit übersehene Lieblingsband internationaler Stars wie Blur, Radiohead oder Stereolab. Die Punkszene der späten Siebziger war weniger verbissen als ihr Pendant in Hamburg und Berlin. Deshalb trauten sich Künstler auch, gewagtere stilistische Mischungen einzugehen. Der Plan, Fehlfarben, DAF oder Liaisons Dangereuses fanden mit ihrer avantgardistischen New Wave Fans weit jenseits der deutschen Grenzen. Die Krupps erfanden den Industrial mit. Die aus diesem Humus hervorgegangenen Propaganda wurden zu Hitschreibern der elektronischen Welle im Pop der achtziger Jahre.

Für viele Musikfans endet die Ära von Düsseldorf als Popmetropole Mitte der achtziger Jahre, als sich viele Mitglieder der Szene zu bürgerlichen Berufen und Lebensformen entschieden oder die Stadt verließen. Doch die faszinierende Popgeschichte und fortbestehende künstlerische Strukturen brachten immer wieder neue kreative Köpfe zusammen. Vor allem die Kunstakademie zieht seit jeher experimentierwillige Musiker an. Kreidler-Mitglied Detlef Weinrich eröffnete den Club Salon des Amateurs, der zum zentralen Treffpunkt einer jungen Elektronikszene geworden ist, die zwischen (Krautrock-)Tradition und Moderne vermittelt. Düsseldorf ist nicht mehr der musikalische Nabel der Welt, aber alle zehn Jahre entsteht hier Großes: Hauschka erschließt Mitte der 2000er Jahre das Konzept des präparierten Pianos für die Popszene, Grandbrothers verfeinern es ein Jahrzehnt später. Und auch Hip-Hop und Punk sind mit der Antilopen Gang und den Broilers weiterhin einfallsreich.

Kraftwerk Konzert 2014, Washington, © CC BY 2.0 Janine and Jim Eden (Flickr)

Höchste Zeit also, sich auf den Weg zu machen. Wir sind mit dem Regionalzug gekommen. Auf der Fahrt nach Düsseldorf laufen die 25 Songs durch unsere Kopfhörer, die wir für jede Stadt ausgesucht haben, um ihren repräsentativen Sound zu finden. Zu Beginn Dieter Süverkrüp, Deutschlands wortmächtigster und poetischster Liedermacher. Beeindruckend, immer wieder, wie er die Grenzen zwischen Ernsthaftigkeit und Parodie, einfachem und doppeltem Boden verfließen lassen konnte. Dann folgen NEU! und Kraftwerks „Autobahn“. 22 Minuten Popgeschichte, die untrennbar mit Düsseldorf verbunden sind. Sie klingen nach deutscher Schnellstraße und internationaler Weite, nach Krautrock und Elektronik, nach Kraftwerks Maschinenkälte und Conny Planks Wärme. In seinen besten Momenten ist der „Sound of Düsseldorf“ eine Musik der Gegensätze.

Timon-Karl Kalayta, Texter und Sänger der Elektropopband Susanne Blech, führt uns wenig später durch die Düsseldorfer Altstadt. Auf dem Weg multinationale Modeketten und rheinische Altbier-Kaschemmen, bettelnde Punks und Königsallee-Schickimicki. Gegensätzliche Pole überall. Angekommen in einem Café mit Rheinblick dauert es nicht lange, bis wir auf die bekannteste Band der Stadt zu sprechen kommen. Kalayta, der es mit dem Song „1000 Jahre Kraftwerk“ („Die Sache mit Kraftwerk, mach aus oder leiser. Alle sehen‘s, niemand sagt es: keine Kleider der Kaiser!“) gewagt hat, den Ikonen ans Bein zu pinkeln und dafür einen veritablen Shitstorm erntete, kann sich wunderbar aufregen: „Hier gibt es eine so abgöttische Heldenverehrung“, schimpft er. „Es ist ja alles gut und richtig und Pioniere und so weiter, weiß ich alles, aber wenn sich alle einig sind bei irgendwas, dann muss man doch aus Prinzip was dagegen sagen, auch wenn es falsch ist. Im Falle von Kraftwerk lässt sich sagen, dass der Diskurs an sein komfortables Ende gekommen ist. Niemand mit Verstand würde noch etwas Unehrenhaftes über die Elektropop-Avantgarde aus Düsseldorf sagen, ohne sich lächerlich zu machen. Die popkulturellen Referenzen sind eindeutig, der Fall ist gelöst, die Akte geschlossen – Kraftwerk? Klar, genial! So läuft das.“

In der Tat ist es kaum möglich, sich der Musikstadt Düsseldorf unvoreingenommen zu nähern. Zu zahlreich sind die internationalen Superstars, von David Bowie über die Simple Minds bis zu Depeche Mode oder den Chemical Brothers, die sich auf Düsseldorf und Kraftwerk berufen. Mittlerweile lässt sich problemlos eine kleine Bibliothek mit Publikationen bestücken, und finden in schneller Folge überall auf der Welt Tagungen und Symposien statt. Die Electri_City, so der Titel einer 2014 erschienenen Oral-History über das „Mekka der elektronischen Musik“ (Umschlagtext) ist in ihrer popgeschichtlichen Bedeutung nicht zu überschätzen. Und dennoch erhielt sie ihre ersten wichtigen Impulse durch einen Mann, der bei Kaiserslautern geboren wurde, durch die amerikanische Besatzung geprägt war, in Köln und Hamburg arbeitete und sich Zeit seines Lebens fern hielt von der Schickimicki-Stadt Düsseldorf.

Conny Plank war „der vielleicht wichtigste Schöpfer von Klang und Stimmung jener Jahre, einer der freundlichsten Menschen der Welt und mit Sicherheit der größte Förderer von Genies und Chaoten, er ist die Nabe, um die sich das Rad Düsseldorf dreht“, schrieb Michael Reinsch vor einiger Zeit in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Plank nimmt 1970, zusammen mit Ralf Hütter und Florian Schneider, das erste Kraftwerk-Album Tone Float auf, noch unter dem Bandnamen Organisation, und erklärt den beiden das von Eltern finanzierte Equipment. Er gestaltet, zunächst in gemieteten oder provisorischen Studios, dann in seinem eigenen Produktionsreich in Wolperath, den Klang der folgenden vier Alben und ertüftelt in nächtelanger Arbeit das Soundbild in Kraftwerks erstem großen Hit „Autobahn“. Auch gibt Plank ab 1970 mit seinem Musikverlag Kraut dem Genre einen Namen. Mit ihm nehmen die größten Krautrockbands der Zeit, von Kluster und Ash Ra Tempel über Guru Guru und Grobschnitt bis NEU! und La Düsseldorf, ihre Hauptwerke auf.

Wir verabreden uns mit Michael Rother, um mehr über die Zeit Anfang der 1970er Jahre zu erfahren, in der Düsseldorf zum ersten Mal eine bedeutende Musikstadt wird. Der Gitarrist und Komponist ist eine der spannendsten Persönlichkeiten der Düsseldorfer Musikszene. Als Mitglied der Kraftwerk-Triobesetzung 1971 und vor allem, zusammen mit Schlagzeuger Klaus Dinger, als Gründer von NEU! hat er den frühen Düsseldorfer Sound geprägt wie kaum ein anderer. Entscheidende Einflüsse, so erzählt uns Rother im Gespräch, erhält er früh durch einen dreijährigen Aufenthalt ab 1960 in Pakistan. Dort lernt er die Musik des indischen Subkontinents kennen. „Das war einfach ein ganz prägendes Erlebnis, diese Musik zu hören, nicht intellektuell zu verarbeiten, sondern rein emotional auf mich einwirken zu lassen“, erzählt er. „Diese arabische, indische Musik mit ihrer Melodik, Rhythmik, dem endlosen Vorwärtstragen von Rhythmen und Melodien, die ich mit meinem mitteleuropäisch geprägten Ohr natürlich überhaupt nicht verstand, aber die eine unglaubliche Anziehungskraft ausübte.“ Wiederholung und Unendlichkeit werden zu wichtigen Begriffen für ihn. Als er 1963 nach Düsseldorf kommt, in die britische Besatzungszone, lässt er sich aber zunächst von der Beatwelle mitreißen. „Das, was die Beatles, Stones, Kinks, solche Bands machten, das war so frisch, so neu, so beflügelnd“, erzählt er. „Ich glaube, jeder zweite in meiner Klasse hatte dann die Ambition, Musik zu machen und in einer Band mitzuspielen.“ Rother wird Lead-Gitarrist der Schülerband Spirits of Sound, in der Ende der 1960er Jahre auch der spätere Kraftwerk-Schlagzeuger Wolfgang Flür und der Sänger Wolfgang Riechmann spielen. Eric Clapton, Jeff Beck und vor allem Jimi Hendrix beeindrucken Rother. In einer Atmosphäre des ästhetischen und politischen Aufbruchs von Beuys über Uecker, Mommartz und Kriwet bis Brandt wird ab Ende der 1960er Jahre sein Bedürfnis nach künstlerischer Eigenständigkeit und Abgrenzung immer stärker: „Meine Musik sollte nicht nur nicht so klingen wie die Bands in England oder Amerika, sondern sie sollte auch anders klingen als alles, was es in Düsseldorf, München oder sonst wo gab.“

Das Jahr 1971: In diesem Jahr kommt es zu einem folgenreichen Zusammentreffen. Ein anderer Gitarrist erzählt Rother auf einer Demo von einer Band namens Kraftwerk und lädt ihn gleich ein, nach der Demo mit ins Studio zu Aufnahmen zu kommen. „Ich kannte nichts, ich kannte auch Kraftwerk nicht, ich war nicht vernetzt, ich war nicht Teil einer Szene, überhaupt nicht.“, erinnert sich Rother und klingt immer noch erstaunt. In Kraftwerks Studio in der Mintropstraße trifft Rother auf die Gründer Ralf Hütter und Florian Scheider und die Schlagzeuger Charly Weiss und Klaus Dinger. „Ich hab mir einen Bass gegriffen und mit Ralf gespielt. Und das war das erste Mal, dass ich mit jemandem Musik machte, Töne austauschte, Melodien hin und her spielen konnte, die nichts mit Blues zu tun hatten. Das war eine völlig neue Erfahrung für mich.“ Ohne den kurzzeitig ausgestiegenen Ralf Hütter spielen Schneider, Rother und Dinger als Trio zahlreiche Konzerte, einen heute hoch geschätzten Fernsehauftritt für die Sendung „Beat Club“ und scheitern anschließend bei Conny Plank an dem Versuch, den Nachfolger für Kraftwerks Debütalbum aufzunehmen.

Die Kerne spalten sich: Michael Rother und Klaus Dinger steigen aus und gründen NEU! Ralf Hütter und Florian Schneider finden wieder zusammen und treiben ihre improvisierten Krautrockanfänge in Richtung durchstrukturierter elektronischer Popmusik. Das vierte Kraftwerk-Album Autobahn erreicht 1974 international hohe Chartpositionen und wird zur Blaupause für die Ästhetik und den Sound der Band. Kraftwerk werden zu Inspiratoren für Elektroniker aus der ganzen Welt, prägen Hip-Hop-Pioniere und stoßen Techno an. Mit Die Mensch-Maschine und Computerwelt erschaffen sie zeitlose Meisterwerke des Elektropop.

Es braucht keine Erklärung, warum sich Rother und Dinger von Kraftwerk trennen mussten, wenn man „Hallogallo“, den ersten Track von NEU!s selbstbetiteltem Debütalbum aus dem Jahr 1972 hört. Zehn hypnotisierende Minuten, die ein handgemachter, rauer Gegenentwurf zu Kraftwerk sind. „Motorik“ haben hilflose Journalisten diesen Sound genannt und ihn damit auf den monotonen Beat reduziert. Man kann hören, wie das ungestüme Temperament des Autodidakten Klaus Dinger scharf auf den ausgeglichenen Charakter Rothers und seine filigrane Gitarrenarbeit trifft, zusammengehalten und zusammengeführt durch Planks Produktion. NEU! erscheint wie seine Nachfolger NEU!2 und NEU!75 auf dem Label Brain, dem zentralen Distributor des Krautrock. Kommerziell erfolgreich sind die Alben alle nicht, „NEU!2“ löst sogar Kontroversen aus, weil Rother und Dinger die zweite Seite mit Neufassungen schon erschienener Stücke füllen (manche sagen: und damit den Remix erfinden). „Die Reaktionen auf das zweite Album und die zweite Seite waren desaströs. Die Leute haben das nicht als künstlerisch legitimes Mittel empfunden, sondern als eine Frechheit, eine Publikumsverhöhnung“, berichtet Rother. Insbesondere das dritte Album der Band kann dennoch in seiner Wirkung kaum überschätzt werden. NEU!75 übt großen Einfluss auf den englischen Punk aus. Aber auch David Bowie, von Brian Eno auf die Düsseldorfer Musik aufmerksam gemacht, wird unter anderem durch NEU!s Drittling motiviert, in Berlin seine Berlin-Trilogie zu beginnen. Bowie lädt Rother ein, am Album Heroes mitzuwirken, nicht geklärte Umstände, vielleicht ein Missverständnis auf Seiten von Bowies Management, verhindern ihre Zusammenarbeit.

Klaus Dinger und Michael Rother selbst fahren erst Ende der 1970er Jahre die Ernte ein: Dinger feiert mit seiner Band La Düsseldorf Erfolge, Rother gelingt, nachdem er Mitte der 1970er Jahre Hans-Joachim Roedelius und Dieter Moebius von Cluster kennenlernt und mit ihnen parallel zu NEU! in einem eigenen Studio im Weserbergland die Supergroup Harmonia gebildet hat, als Solokünstler mit dem Album Flammende Herzen 1977 der kommerzielle Durchbruch.

Zu diesem Zeitpunkt hat auch Marius Müller-Westernhagen schon einige Jahre des Tingelns hinter sich. Doch noch ist unklar, ob der Sohn des früh verstorbenen Ensemblemitglieds des Düsseldorfer Schauspielhauses, Hans Müller-Westernhagen, eher als Schauspieler oder als Sänger reüssieren wird. Das Talent zu beidem hat Westernhagen (*1948) jedenfalls. Doch die richtige Formel, die er später als Schauspieler in dem Film „Theo gegen den Rest der Welt“ (1980) oder als Rockmusiker auf „Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz“ (1978) findet, sucht er noch. Als wir Westernhagen in Berlin treffen, bereitet er gerade seine Unplugged-Tournee vor. Für das gleichnamige Live-Album hat der Regisseur Fatih Akin ein Konzertvideo gedreht. In unserem Gespräch taucht er tief in die Vergangenheit ein. „Der entscheidende Punkt, der mich mit 14 zum Singen gebracht hat, als ich noch nicht einmal im Stimmbruch war, war der Blues“, erzählt er. „Durch die Stones vermittelt, hatte ich R’n‘B-Musik gehört. So wollte ich mich ausdrücken. Dann kam die Soul-Ära mit Otis Redding und James Brown. Dann kam Jimi Hendrix, der eine neue Dimension brachte. Das alles hatte es zuvor nicht gegeben."

Durch dieses Interesse gerät Westernhagen Mitte der sechziger Jahre in dieselbe Szene wie Michael Rother. Sie spielen auch bisweilen in derselben Formation. „Er war in einer Band, die eher so lieblichen Rock gemacht hat. Wir haben schon eher so etwas wie Punk gemacht. Auch mit Kraftwerk-Gründer Florian Schneider habe ich Musik gemacht. Damals hatten wir Sessions miteinander. Einer kam vorbei und fragte, kann ich einsteigen“, erinnert sich Westernhagen. Viele von denen, die Düsseldorf später als Popstadt bekannt machen, sind ebenfalls zugegen: Karl Bartos, der spätere Kraftwerk-Schlagzeuger, Bodo Staiger, der mit Rheingold einige der frühen Hits der Neuen Deutschen Welle haben wird. Und Conny Plank. „Conny Plank war noch Assistent in einem Studio bei Köln. Dafür hatte er den Schlüssel. Wir sind dann nachts vollgekifft rein und haben improvisiert. Die Stücke waren grundsätzlich 20 Minuten lang. Conny sagte immer: ‚The Tape is rolling‘“, sagt Westernhagen. Doch schon hier zeigen sich konzeptionelle Unterschiede. Während Rother, Schneider, Hütter und Dinger immer die Formen sprengen und etwas ganz Neues erfinden wollen, hängt Westernhagen an der Tradition. „Meine Musik war von frühester Jugend an die amerikanische. Deshalb habe ich da nicht so einen Zugang bekommen“, sagt er.

Illustration von Marius Müller-Westernhagen, © Marius Müller-Westernhagen - Illustration von Saskia Wragge

Im Jahr 1978 erscheint Pfefferminz, das den großen Düsseldorf-Song „Mit 18“ enthält, in dem er über seine frühen Erfahrungen als Rock’n’Roll-Sänger singt. Und es wird klar, dass Westernhagen das Zeug zum Rockstar hat. Mit „Theo“ wird klar, dass er auch zum Schauspielstar taugt. Westernhagen singt Gassenhauer wie „Sexy“, „Weil ich dich liebe“ und „Willenlos“ und schreibt mit „Freiheit“ unverhofft eine der Hymnen der deutschen Einheit. Seiner Heimatstadt Düsseldorf entwächst er zunehmend, bleibt aber seiner frühen Bluesprägung bis heute verbunden.

Schon am Anfang seiner Karriere muss sich Westernhagen einer der zentralen Fragen für deutsche Popmusiker stellen: Wollen sie international wahrgenommen zu werden, sind die Chancen ungleich größer, wenn sie auf die elektronische Schiene setzen, die eigene Persönlichkeit zurückschrauben, vielleicht auch auf die deutsche Sprache verzichten. Der dominanten Düsseldorfer Traditionslinie von Kraftwerk über NEU! zu Propaganda, Kreidler und Hauschka ist das gelungen. Doch der Charismatiker Westernhagen ist eine Rampensau, geboren für die Bühne, jemand für die große Geste, einer der größten Popstars des Landes, der Stadien gefüllt hat, den aber schon in Österreich kaum einer kennt. „Ich wollte nie international werden, obwohl man mich oft zu überreden versucht hat. Ich finde, ich bin in einer unheimlich guten Position. Ich war und bin erfolgreich in einem großen Markt, der aber doch noch überschaubar ist. Wenn ich aus diesem Land herausreise, kennt mich kein Mensch“, sagt er. Doch zumindest ausprobiert hat er den Gegenentwurf: „Ich hatte auch eine Phase, in der ich versucht habe, mit Maschinen zu arbeiten. Das war interessant, und ich habe versucht, das zu verbinden mit Kralle Krawinkel, der im weitesten Sinne Bluesgitarrist war. Ich finde aber, dass Menschen, die ihre Seele einbringen und in Dialog gehen, eine ganz andere Spannung erzeugen. Wonach ich auch immer suche, was dann manchmal auf der Bühne passiert: dass Musik fast etwas Spirituelles bekommt, dass du in eine Zone hineinkommst, die du nicht mehr beeinflussen kannst, sondern nur noch geschehen lässt. Ich glaube nicht, dass du das mit Maschinen kannst“, sagt er.

Ganz anders als Westernhagen macht es die gut eineinhalb Jahrzehnte jüngere Doro Pesch, die sich Anfang der achtziger Jahre in der Heavy-Metal-Undergroundszene der Stadt einen Namen macht. Mit ihrer Band Warlock verarbeitet sie Einflüsse der ersten Welle der britischen Heavy-Metal-Bands wie Judas Priest und Iron Maiden. Daraus entsteht ein melodischer, hochenergetischer Powerrock mit reichlich Pathos. Pesch und ihre Mitstreiter überzeugen das belgische Musiklabel Mausoleum Records von sich. Mit englischen Texten setzen sie auf die stetig wachsende globale Metalszene und werden mit ihren Alben Burning The Witches, Hellbound, True As Steel schnell zu deren Kultstars. Dass eine Frau in einer Heavy-Metal-Band singt, ist ein Novum. Doro Pesch ist schließlich auch die erste Frau, die auf dem britischen Festival Monsters Of Rock auftritt. Dann aber kommt es zu Streitigkeiten über die Konzeption der Band. Das Plattenlabel mischt sich ins Repertoire ein. Rudy Graf verlässt die Band, die sich dann noch mal zum großen Schlag durchringt, der ihr 1987 mit dem Album Triumph & Agony gelingt. Diesen internationalen Erfolg nutzt Pesch, um eine sehr erfolgreiche Solokarriere zu starten. Anders als Westernhagen, der ein deutscher Superstar aus Düsseldorf ohne internationale Ausstrahlung wird, ist Doro Pesch ein internationaler Superstar aus Düsseldorf in einem kleinen, aber bedeutenden Segment der Rockmusik.

Spaziert man heute durch die Düsseldorfer Innenstadt, ist nicht mehr viel von der prägenden Zeit der frühen siebziger Jahre zu entdecken. An Kraftwerks Kling Klang Studio in der Mintropstraße erinnert nur noch das verblasste Schild der Elektro Müller GmbH. Auch der wichtigste Treffpunkt der Szene ist nicht mehr das, was er war: Bis Mitte der 1970er ist das Creamcheese in der Altstadt das Stammlokal für die Musiker und Künstler der Stadt. Hier treffen Bildhauer auf Filmemacher auf Musiker an einer langen Theke mit Rückwand aus Spiegeln, umringt von Arbeiten der Düsseldorfer Kunstszene. Heute steht man vor einem denkmalgeschützten Haus, in dem unter anderem eine Agentur für Kommunikationsdesign und eine Modelagentur sitzen. Zwei Straßenecken weiter findet man sich vor einem gewöhnlichen Rockschuppen namens Stone wieder, der als Abendprogramm das Beste aus Indierock, Punk, 60s und 70s verspricht. Kaum zu glauben, dass hier, im ehemaligen Ratinger Hof, Ende der 1970er Jahre der deutsche Punk und die Neue Deutsche Welle miterfunden wurden.

 „Obwohl der Ratinger Hof wirklich so ein kleiner Laden war, wusste man, wenn man da auftritt, ein Konzert im Hof hat, dann hat man es irgendwie geschafft. So absurd das jetzt klingt. Aber das ist ja auch oft so gekommen.“, sagt Gabi Delgado, Sänger und Texter der Elektroformation DAF und heute als Elektro/Techno-Solokünstler unterwegs. Wir erwischen ihn für ein paar Minuten vor einem Konzert in Krefeld. Delgado ist im Ratinger Hof von Anfang an dabei und erlebt, wie der kleine Club mit grellem Neonlicht ab Ende der 1970er Jahre zum Zentrum der Düsseldorfer Musik- und Kunstszene wird. Wie hier die Auftritte der frühen Punkbands Male und Charly’s Girls andere inspirieren, selbst zu Instrumenten zu greifen, wie hier Elektronikpioniere wie Liaisons Dangereuses oder seine Band DAF ihre raue Ästhetik entwickeln, wie Der Plan oder die Fehlfarben deutschsprachige Poptexte als Mischung aus Poesie, Dadaismus und Doppelbödigkeit neu erfinden, wie sich aus dem Umfeld des Ratinger Hofs mit Ata Tak ein genreprägendes Independentlabel bildet und, wie spätestens als die Fehlfarben bei der Majorfirma EMI unterschreiben und der Ska-Song „Ein Jahr (Es geht voran)“ zum Hit wird, die einsetzende Kommerzialisierung die Szene zerstört.

DAF, © DAF - Illustraion von Saskia Wragge
Der Ratinger Hof, © Markus Luigs

Gabi Delgado (DAF) über den Ratinger Hof


Am Anfang aber ist der Ratinger Hof ein Ort der Freiheit. Dass der kleine Club zu einer der Geburtsstätten des deutschen Punk und New Wave werden kann, ist aber nur zu erklären mit seiner Nähe zur nahen Kunstakademie. Markus Oehlen, Jörg Immendorff und vor allem der antiakademisch orientierte Joseph Beuys werden Stammgäste. Ihr Zusammentreffen mit den DIY-geprägten Punkern löst ungeheure Kreativität aus. „Die Künstler haben sich interessiert für die Punks und die, die dachten: Was ist denn das? Das war diese Wechselwirkung“, sagt Delgado. „Und plötzlich dachten dann 20, 30 Leute: Wir dürfen machen, was wir wollen“. Für DAF, die geprägt sind durch die expressive Performance und die kontroversen Texte Delgados und den Sequenzer-Sound von Robert Görl, heißt das, den Punk clubtauglich zu machen. Damit werden sie zu entscheidenden Wegbereitern für Genres wie Electropunk und EBM. Wir fragen Delgado zum Abschluss, warum DAF Düsseldorf recht zügig verlassen und nach London gehen. „In Deutschland gab es den Ratinger Hof, die Markthalle [in Hamburg] und das SO36 [in Berlin], wo man als Punkband überhaupt spielen konnte. Es gab kein einziges Label, das an solcher Musik interessiert war“, erzählt er. „Und in London gab es tausend Clubs! Und tausend Punks! Und tausend Labels! Das war ‚the place to be‘.“

Campino, © Paul Ripke

Campino (Die Toten Hosen) Über den Ratinger Hof


In einem Eiscafé fernab der Altstadt treffen wir, um noch mehr zu erfahren, Ralf Dörper. Auch sein musikalischer Werdegang ist beeindruckend: Er beginnt als loses Mitglied der Protopunkband S.Y.P.H. Seine experimentelle Solosingle „Eraserhead/Assault“ wird dann 1980 vom einflussreichen NME zur Single der Woche gekürt, als Mitglied der Band Die Krupps und auf ihren Werken Stahlwerksinfonie und Volle Kraft voraus ist er ein Pionier von Genres wie Industrial und Synth-Pop. Dörpers Nachfolgeprojekt Propaganda wird Mitte der 1980er Jahre zu Deutschlands erfolgreichstem Elektropopexport, nach dessen Ende gelingt ihm 1989 mit dem Track „Dr. Acid & Mr. House“ einer der allerersten europaweiten Acid-House-Hits. Im gleichen Jahr startet eine zweite Phase der Krupps, deren Verbindung von Industrial und harter Elektronik den Weg bahnt für Bands der „Neuen Deutschen Härte“ wie Oomph oder Rammstein.

Wie für Michael Rother ist auch für Dörper die britische Prägung Düsseldorfs entscheidend: „Das spielte wirklich eine Rolle, dass wir hier in Düsseldorf zu den Engländern gehörten“, sagt er zu Beginn unseres Gesprächs. „Wir hatten hier BFBS und somit John Peel, auch viele Kasernen mit Engländern. Und weil hier viele Engländer waren, war Düsseldorf die Anlaufstelle für Konzerte von großen Künstlern wie David Bowie, The Who, Roxy Music.“

Wir fragen ihn nach seinem Blick auf die Szene des Ratinger Hofs und erhalten eine Antwort, die das Bild einer harmonischen subkulturellen Szene relativiert. Dörper betont, wie stark in der Anfangsphase das Epigonentum vorherrschte: „Der Ratinger Hof als Gesamtszene war schon wie so ein Kostümball mit einem Timelag gegenüber London. In Düsseldorf fing ja der Punk an, als er in England schon vorbei war“, sagt er und führt das Beispiel des heute legendären 1. NRW Punkfestivals im Düsseldorfer Carsch-Haus 1978 an: „Da wurden nur Gitarrenbands eingeladen, die im Zweifelsfall auch wieder alle so klangen wie englische Punkbands.“ Wirklich innovativ sind beispielsweise DAF, Der Plan oder Die Krupps, die sich Ende der 1970er Jahre am angloamerikanischen Postpunk und Elektro, an Bands wie Pere Ubu, Throbbing Gristle oder Cabaret Voltaire abarbeiten und nicht versuchen, die deutschen Ramones zu werden. Die Szene im Ratinger Hof ist, auch wenn es ihr gelingt, mit Hilfe des Journalisten Alfred Hilsberg eine Außenwirkung zu erzeugen, immer in der Gefahr, den Anschluss zu verlieren. „Das war schon sandkastenmäßig Ellenbogen. Da ging es immer darum, wer ist der Erste, wer hat die erste LP draußen. Und das wurde dann ganz schlimm oder erkennbar, als der Erfolg über Geld kam“, sagt Dörper.

Als wir mit Jürgen Engler sprechen, der die Düsseldorfer Szene als Mitglied von Male erlebt hat, zusammen mit Dörper in den Krupps spielt und heute in Austin lebt, bestätigt er diese Sichtweise: „Mit dem Ratinger Hof hatte man das CBGB von Düsseldorf. In der Altstadt hat sich das alles geballt wie in einem Mikrokosmos, in dem sich die ganze Welt getroffen hat und Pläne geschmiedet hat. Das war anfangs wie ein Zuhause draußen“, erzählt er. „Die Szene in Düsseldorf selbst war ja sehr klein. Anfangs 77/78/79 war es mehr oder weniger so, dass die Bands selbst das Publikum waren für die anderen Bands.“ Auch Engler betont die konfliktreiche Atmosphäre im Ratinger Hof: „Es war auch ein extremes Konkurrenzdenken in der Szene da. Ich weiß nicht, woher das kam. Es wurde viel gespöttelt und auch wenig zusammengearbeitet. Ich würde das auch darauf zurückführen, dass die Szene insgesamt ziemlich deutsch war: Dieses Konkurrenzdenken, dieses Spöttische, dieses Elitär-sein-Wollen, dieses andere runterbuttern. Das hat auch einiges kaputtgemacht.“

Vielleicht sind es diese Spannungen im Ratinger Hof – zwischen Kunstakademisten und Musikern, zwischen Ausgrenzern und Integrierern, zwischen Geld und Geldnot, zwischen Düsseldorfern und Zugewanderten aus Solingen, Krefeld, Hagen oder Wuppertal, zwischen Punkern, Rockern, Elektronikern, zwischen antikommerziellem Punk und erfolgsorientierter New Wave, die so viel Kreativität auslösen. Die eines der wichtigsten deutschsprachigen Rockalben – Fehlfarbens Monarchie & Alltag – ebenso ermöglichen wie den elektronischen Dadaismus von Der Plan oder den harten Elektro von DAFs „Tanz den Mussolini“. Mit den ersten Hits springt dann aber die Musikindustrie auf den Sound aus Düsseldorf auf und überkommerzialisiert und zerstört ihn mit der Banalität der Neuen Deutschen Welle, vom „Knutschfleck“ bis zum „Tretboot in Seenot“. Engler reicht das aber nicht als Erklärung für das Ende der Szene: „Mit der Helmut Kohl-Generation kam ein ganz anderer Vibe in die Stadt. Auf einmal sind alle Punks und Waver nicht mehr auf die Kunstakademie gegangen, sondern BWL-Studenten geworden. Damit war es vorbei. Auf einmal hatten alle Typen, die vorher den Toughen herausgekehrt haben, Popper-Haarschnitte. Leute, die eine Front mit uns gebildet hatten, drehten sich komplett und wurden zu Nickelbrillenträgern“, erzählt er. „Ich glaube wirklich, dass diese konservative Zeitenwende so richtig reingeschwappt ist in die ganze Szene und alles kaputtgemacht hat. Auf einmal gab es keine Leute mehr, die gedacht haben: Wir müssen hier was ändern! Auf einmal fanden alle alles unheimlich gut.“

Düsseldorf gelingt es nicht mehr so recht, eine dominante Popmusikstadt des Landes zu werden. Vor allem die späten 1980er Jahre bis weit in die 90er sind eine Zeit der Ödnis. Zu viele innovative Musiker sind aus der Stadt abgewandert und eine musikalische Infrastruktur fehlt. Erst Mitte der Neunziger Jahre sind es Kreative wie Detlef Weinrich, Alex Paulick, Andreas Reihse und Thomas Klein von der 1994 gegründeten Band Kreidler, denen es wieder gelingt, Düsseldorf auf die internationale Poplandkarte zu setzen. „Ich komme eigentlich aus Süddeutschland und bin für den Zivildienst in Düsseldorf gelandet, weil ich da eine Stelle gefunden habe“, erzählt Reihse. „Ich dachte: Das ist ja toll: Düsseldorf, eben genau, weil da Kraftwerk und der ganze Post-Punk-Kram herkam. Und ich bin in Düsseldorf angekommen, und da war nichts!“

Kreidler, die elektronische Musik mit analogen Instrumenten verbinden und daraus eine eigenständige Mischung aus Avantgarde-Electronica, Dub, Techno und Post-Irgendwas hervorbringen, erschaffen sich als Reaktion darauf im Laufe der Zeit eigene Strukturen: ab 1999 in dem Künstler/Musiker Verein „Innenstadt Mainstream“ am Düsseldorfer Bahnhof, zu dem unter anderem auch die Künstlergruppe hobbypopMUSEUM und der Undergroundclub Ego gehörten; später wird Weinrich einer der Betreiber der Bar Salon des Amateurs.

Vladimir Ivkovic im Salon des Amarteurs, © Markus Luigs

Salon des Amateurs


Doch immer wieder, wenn er sich zu dem Phänomen Metropole und Popmusik auslässt, wird sein ambivalentes Verhältnis zu Düsseldorf deutlich. Einerseits hat er mit der Bar einen der wenigen Orte geschaffen, der Pop aus Düsseldorf in der heutigen Zeit verortbar macht. Andererseits wehrt er sich dagegen, den Helden von einst zu etwas verpflichtet sein zu müssen. Auf einer Lesung mit „Sound of the Cities“ in der Düsseldorfer Solobar, die mit dem Salon des Amateurs verbunden ist, zeigt sich das sehr deutlich, als eine Besucherin eine Frage zu einer der wichtigen Figuren der früheren künstlerischen Subkultur stellen will. Sinngemäß antwortet Weinrich wütend, dass die Stadt undankbar sei, weil sie nicht anerkenne, welche künstlerische Freiheit heute weiterhin unter Aufbringung größter Energie gelebt werde. Viele, die von der vergangenen Avantgarde der siebziger und achtziger Jahre schwärmten, kämen gleichzeitig nicht in den Salon, um die neue Avantgarde zu erleben und zu würdigen.

Lena Willikens, © Lena Willikens, Illustration von Saskia Wragge

In dieser Hinsicht ist auch Weinrichs Verhältnis zu Kraftwerk und NEU! als Impulsgeber höchst ambivalent: „Zu Anfang war das vielleicht ein Motiv. Ich persönlich würde mich aber davon abgrenzen, weil ich dieser Frage müde bin, weil man das immer gefragt wird. Und weil es in den letzten Jahren von Berlin aus immer wieder so eine Art von künstlich gezüchteter Idee von Düsseldorf als Musikstadt gab“, sagt Weinrich, der solo als DJ Toulouse Low Trax Platten auflegt. Wichtig ist für Kreidler, wie für ihre Vorgänger die Nähe zur Düsseldorfer Kunstakademie. Klein betont die dort auffindbare „kunstverbundene Art, sich Nischen zu schaffen und Plätze für eine gewisse Zeit zu beanspruchen und eine Subkultur zu schaffen, die auch andere Leute anzieht oder auf sich aufmerksam macht.“ Und Weinrich macht klar, dass die besondere Kreativität in Düsseldorf immer nur sichtbar geworden ist, wenn ein Clubbetreiber eine besondere Atmosphäre geschaffen hat. Denn die wichtigste Quelle aus der in der Stadt etwas entstehen konnte, brauchte subkulturelle Orte, um sich zu entfalten. „Das war in Düsseldorf immer an die Kunstakademie gebunden und an einen guten Laden. Wenn es diese Läden nicht gegeben hätte, wäre nicht so viel passiert. Dann ist eben Creamcheese siebziger Jahre und Ratinger Hof und vielleicht für eine kurze Zeit auch mal der Salon im Gespräch gewesen. Dazwischen gab es noch das Ego und wieder auch andere Musik. Das hat auch vielleicht immer damit zu tun, dass man sagt: Nee, ich will mit der Stadt eigentlich gar nichts zu tun haben. Vielleicht so eine Art Anti-Haltung sogar“, sagt er

So ambivalent sich das Verhältnis zur Stadt für Salon-Geschäftsführer Detlef Weinrich auch darstellt, von außen – und das meint für Düsseldorf natürlich auch: von außerhalb Deutschlands – wird die Musikstadt Düsseldorf heute natürlich auch durch den Filter des Salon des Amateurs wahrgenommen. Der Sound von DJs wie der in Köln lebenden, aber im Salon als Resident-DJ firmierenden Lena Willikens, irgendwo zwischen modernem Elektro und avantgardistischem Kraut angesiedelt, wird als neue Düsseldorfer Schule gehört. Der Salon ist inzwischen selbst mehrfach zum Gründungsmythos geworden. „Ich habe im Salon bei zehn Jahre Booking auch immer darauf geachtet, dass immer siebzig Prozent der Sachen aus dem Ausland kommen, die ich präsentiere. Und nicht immer denke, jetzt können alle meine Freunde spielen. Und das haben mir auch manche Leute übelgenommen. Aber das ist inzwischen offener geworden, vielleicht auch weil ich fauler geworden bin. Aber diese Lust haben, das Fenster nach draußen zu haben, indem man Künstler einlädt in seine Location, das ist total wichtig“, sagt Geschäftsführer Weinrich.

Auftritt des Künstlers Gigi Masin in 2016, © Markus Luigs

Gigi Masin in der Kunstakademie, 2016


Der Pianist Hauschka, 1966 als Volker Bertelmann in Kreuztal in der Nähe von Siegen auf die Welt gekommen, ist einer der Künstler, die in diesem Umfeld groß geworden sind. Hier hat er seine Idee des präparierten Pianos verfeinert. Noch bevor er Mitte der neunziger Jahre nach Düsseldorf zieht, ist er zunächst als Hip-Hop-Musiker einigermaßen erfolgreich. Seine Kölner Formation God’s Favorite Dog schafft es bis ins Vorprogramm der Fantastischen Vier. In den frühen nuller Jahren fängt er an, Pianomusik zu komponieren. Auf dem Label Karaoke Kalk veröffentlicht er erste Stücke, 2005 erscheint sein Album Prepared Piano, das zu einem programmatischen Werk mit großem Einfluss wird.

Im vermeintlichen Niemandsland zwischen zeitgenössischer Klassik, Pop und Elektronik beginnt sich eine Szene zu formieren. Musiker wie der deutschstämmige Brite Max Richter oder der in Berlin lebende Hamburger Nils Frahm komponieren Klavierstücke, schreiben Filmsoundtracks und geben Konzerte, die von Minimal Music geprägt sind und häufig mit verfremdeten Klavierklängen arbeiten. Hauschka wird zu einer der zentralen Figuren der Szene. Seine Platten wie Ferndorf (2008) und What If (2017) werden von der internationalen Kritik gefeiert. 2017 wird er gemeinsam mit seinem amerikanischen Komponistenkollegen Dustin O’Halloran für den Filmsoundtrack zu „Lion“ für den Oscar nominiert. Doch es ist das falsche Jahr: Gegen das Musical „La La Land“, einen der großen Kritikerfavoriten des Jahres, können die beiden nicht bestehen.

Hauschka ist ein weiteres Beispiel dafür, dass von Düsseldorf häufig Impulse ausgehen, die weit über die deutschen Grenzen hinaus aufgenommen werden. Die Idee des präparierten Pianos, bei dem die Klaviersaiten durch Gegenstände manipuliert und in ihrem Klang verändert werden, hatte in den vierziger Jahren der amerikanische Avantgarde-Komponist John Cage. Sein Ziel war damals, mit begrenzten Ressourcen perkussive Effekte für ein modernes Tanzstück zu erzeugen. In der Popmusik war der britische Experimental-Techno-Musiker Aphex Twin Anfang der nuller Jahre einer der ersten, der diesen Ball aufnahm. Hauschka übernahm und verfeinerte über die Jahre das Konzept. Auf seinem 2017 erschienen Album What If hat er es zu einiger Meisterschaft gebracht. Vorbilder wie Philip Glass und Steve Reich klingen durch, mal geben Tango-Rhythmen den Takt vor, mal fühlt man sich in das Berlin der Jahrtausendwende mit seinem sparsamen Minimal-Techno zurückversetzt. Und alles ist mit dem Klavier erzeugt.

Gradnbrothers, © Tonje Thilesen

Grandbrothers


Nach allem, was wir schon über Düsseldorf als Popmetropole erfahren konnten, ist es keine Überraschung, dass auch der jüngste Exportschlager der Stadt wieder das ist, was die Stadt auszuzeichnen scheint: nah an der bildenden Kunst, avantgardistisch und verspielt, international anschlussfähig und den wenigen bestehenden lokalen Musikstrukturen entwachsen. Das Düsseldorfer Duo Grandbrothers hat auf bislang zwei Alben einen Sound entwickelt, der die spannendsten Elemente moderner Elektronik, präparierter Pianos und der amerikanischen Minimal-Music-Tradition vereint. Mit ihren umjubelten Auftritten füllen sie größere Indie-Clubs, Kirchen oder Konzerthäuser, die internationale Kritik schwärmt von dem Deutsch-Schweizer Duo, das sich beim Studium in Düsseldorf kennengelernt hat. Dafür, dass sie die vielleicht aufregendste Erscheinung des deutschen Pop seit The Notwist sind, sind die deutschen Rezensenten allerdings überraschend verhalten. Auch Hauschka und Nils Frahm, die ähnliche Ideen verfolgen, scheinen bislang das aufgeschlossene Publikum mehr zu begeistern als die zurückhaltenden Feuilletonisten.

Erol Sarp (*1986) und Lukas Vogel (*1986) sind im Jahr 2007 aus Wuppertal und Zürich nach Düsseldorf gezogen, um Ton und Bildtechnik am Institut für Musik und Medien zu studieren. Vor allem Phillip Schulze, Dozent für Akustische Musik und Mediale Zeitformen hat sie an der Universität inspiriert. „Wir haben dort eine große Kreativität und Freiheit, uns auszuprobieren, erlebt. Für uns war es am Institut so, als wir anfingen zu basteln. Schulze war ein wichtiger Einfluss. Wir konnten uns austoben“, sagt Sarp in einem Interview am Telefon.

Sarp sitzt am Flügel und bedient die Tasten, die mit den präparierten Saiten verbunden sind, Vogel bearbeitet die Klänge mit dem Laptop. Die lange elektronische Tradition von Kraftwerk über NEU!, Propaganda und Kreidler sei für die beiden Musiker keine Belastung gewesen. „Es war eher cool zu wissen, dass solche Bands hier etwas bewegt haben und im Elektronischen Pioniere sind. Einen konkreten Anknüpfungspunkt gab es aber“, erklärt Sarp. „Hauschka! Er war schon zehn Jahre vor uns hier und hat zum Beispiel ein Album bewusst Salon des Amateurs genannt. Beim ersten Treffen war er sehr zuvorkommend. Unseren ersten Auftritt hatten wir auf seinem Festival“.

Mischpult im Salon des Amateurs, © Andreas Schiko

Gemeint ist das Approximation Festival (www.approximation-festival.de). Dieses haben Hauschka und der bildende Künstler Aron Mehzion 2005 im Salon des Amateurs gestartet. Über die Jahre haben sie viele bedeutende Künstler an der Schnittstelle von Klassik und elektronischer Avantgarde nach Düsseldorf eingeladen: Max Richter, Ryuichi Sakamoto, Steve Reich, Barbara Morgenstern, Howe Gelb, Jan Jelinek, Kronos Quartet, Bugge Wesseltoft und Múm sind hier schon aufgetreten. Laut eigener Auskunft versteht sich das Festival „zugleich als eine experimentelle Plattform, die Musiker aus verschiedenen Generationen, Nationen und Szenen zusammenführt, als ein Forum für die zeitgenössische Auseinandersetzung mit Piano und Keyboards“. Studierenden, Laien und Künstlern böten sich Möglichkeiten für die Zusammenarbeit mit Komponisten aus ganz anderen Genres.

Auch den Salon des Amateurs erleben Sarp und Vogel in ihrer Studienzeit intensiv, suchen den Austausch mit anderen Kreativen und hören die experimentellen Sets der DJs. Zweimal treten sie dort mit ihrem Grandbrothers-Projekt auch selbst auf und feiern dort die Release-Party zu ihrem ersten Album „Dilation“, das 2015 erscheint. Die erste Single „Ezra Was Right“ hört der einflussreiche Londoner DJ Gilles Peterson und spielt sie häufiger in seiner Radio-Sendung, sodass die Grandbrothers schnell zu einem international beachteten Phänomen werden. Obwohl sie nur einige Jahre in Düsseldorf gelebt haben, Sarp inzwischen in Berlin und Vogel im Ruhrgebiet wohnt, sehen sie die Zeit in Düsseldorf als entscheidende Inspiration an und bezeichnen sich bis heute als Düsseldorfer Musiker. „Ich war schon eine Weile nicht mehr im Salon, aber damals haben wir es intensiv erlebt. Das war sehr prägend, weil es in Düsseldorf nicht viele Alternativen gibt. Hier konzentriert sich die Szene und ein eigener Sound. In diesem Umfeld gibt es viele Musiker, oft mit einer Nähe zur Kunstakademie“, sagt Vogel. Und die Ausstrahlung dieser Szene weit über die Stadtgrenzen hinaus sorge auch dafür, dass Düsseldorf weiterhin ein Sound-Etikett angeheftet werde. „Detlef Weinrich und Lena Willikens sind weltweit bekannt. Sie tragen den Sound der Stadt in die Welt. Auf dem Sonar Festival spielen diese Leute, das ist gut für die Stadt“, sagt Sarp.
Inzwischen steht ihr präparierter Flügel in einem Proberaum in Bochum, nachdem Aufenthalte in Recklinghausen, Gelsenkirchen und in einem „gruseligen Kaufhaus“ in Herne nur von kurzer Dauer waren. „Das Projekt Grandbrothers hat das nicht beeinflusst, weil wir jetzt einen Sound hatten“, sagt Vogel. In Bochum zählen sie sich nicht zur Szene. Es ist, wie es so oft mit Musikern ist, die ihr Konzept gefunden haben und nun keine Inspiration und Unterstützung ihres Umfelds mehr brauchen. Ihr bahnbrechendes zweites Album „Open“ ist längst das Werk zweier etablierter Künstler mit einer eigenen Handschrift – geprägt durch Düsseldorf, aber Ergebnis einer individuellen Vision.

Ob man Hauschka, Grandbrothers und Kreidler betrachtet oder Bands wie die Elektroniker Stabil Elite, die sich in Text, Ästhetik und Musik konsequent auf den Krautrock beziehen und ihre erste EP bewusst an Klaus Dingers Todestag veröffentlichten: Alle Düsseldorfer Bands der Gegenwart sind nicht ohne ihre Vorgänger denkbar. „Ich bin ja großer Strukturalist. Es bildet sich eine Struktur und daraus bildet sich eine neue Struktur, ohne dass Du genau sagen kannst, was der Anfang war. Pfadabhängigkeit ist das zentrale Wort!“, erklärt Timon-Karl Kalayta irgendwann in unserem Gespräch. Und in der Tat ist es bemerkenswert, wie sehr auch seine Band Susanne Blech eine Düsseldorfer Band ist, obwohl die Mitglieder Zugezogene sind, obwohl Kalayta sich selbst eine große „Musikunbildung“ attestiert, obwohl das Abgrenzungsbedürfnis gegenüber den Vorgängern groß ist und obwohl die Band in einem ganz eigenständigen musikalischen Kosmos aus Punk, Elektro und Philosophie agiert. Susanne Blech sind wie viele ihrer Düsseldorfer Vorgänger mutig, experimentierfreudig und Elektronik-infiziert. Ohne jemals im Ratinger Hof gewesen zu sein, versteht der Songschreiber Elektronik und Punk als vereinbar, sieht er Musik als ein Mittel der Selbstermächtigung, ist für ihn die Verknüpfung von Kunst und Musik Grundlage seines Arbeitens. Kalayta hat ein „Institut für Zeitgenossenschaft“ gegründet, führt einen Verlag für im Erscheinen befindliche Bücher und veranstaltet Ausstellungen. Vor allem aber verwischen Susanne Blech beständig die Grenzen zwischen politischer Ernsthaftigkeit und postmoderner Ironie, zwischen Affirmation und Abgrenzung, zwischen regionaler Verortung und internationaler Orientierung, zwischen Oberfläche und Tiefe. „Für mich gibt es nur ein relevantes Kriterium beim Schreiben: Jeder Buchstabe Kitsch und Pathos muss raus sein! Das muss zu 100 Prozent eliminiert sein.“, erklärt uns Kalayta am Ende. Das beständige, spannungsgeladene Flirren zwischen Polen charakterisiert den Sound of Düsseldorf von Anfang an und macht ihn bis heute außergewöhnlich.

Doch nicht nur die Elektroniktradition hat in Düsseldorf bleibende Spuren hinterlassen. Die Toten Hosen, eine der späten Formationen der Ratinger-Hof-Ära, sind im Jahr 2018 eine Institution. Auf 14 Alben seit „Opel-Gang“ im Jahr 1983 haben sie den Deutschpunk popularisiert und – wie viele ihnen vorwerfen – auch banalisiert. In den frühen neunziger Jahren begannen sie nach Erfolgsplatten wie „Auf dem Kreuzzug ins Glück“ und „Kauf mich!“ mit Stadientouren. Allenfalls noch Die Ärzte konnten es an Popularität mit ihnen aufnehmen. Trotz ihrer deutschen Texte werden sie auch im Ausland geschätzt, was ihre gut besuchten Tourneen in Lateinamerika belegen. Sänger Campino ist eine öffentliche Figur, die in Talkshows, Interviews und öffentlichen Auftritten längst nicht nur zu musikalischen Themen Stellung nimmt. Dass die Bands auch jüngere Kollegen unterstützen – unter anderem mit ihrem Label JKP – hat der Aufstieg der Punkband Broilers gezeigt, die sich in den vergangenen Jahren zu so etwas wie den jungen Nachfolgern der Toten Hosen aufgeschwungen haben.

Gegründet haben Sänger Sammy Amara und Schlagzeuger Andreas Brügge die Broilers schon als Teenager in Düsseldorf. Die Toten Hosen waren neben The Clash und Bruce Springsteen einer der wichtigsten Einflüsse der Band, die sich der Oi!-Punkbewegung zugehörig fühlt – einer Welle aus England, die sich als antirassistisch begreift und Impulse aus Ska, Reggae und Pub Rock verarbeitet. Amara hat auch als Grafikdesigner für die Toten Hosen gearbeitet. So ist die Band auch auf ihn und seine Formation aufmerksam geworden. Seit die Broilers in deren Vorprogramm gespielt haben, sind sie sehr schnell sehr erfolgreich geworden. 2011 nahmen sie das Album „Santa Muerte“ auf, das auf Platz 3 der deutschen Charts kam. Auf Platz 1 kamen dann sogar die Nachfolger „Noir“ (2014) und „(sic!)“ (2017). Sammy Amara und seine Band sind inzwischen selbst Superstars aus Düsseldorf in der Tradition der Toten Hosen.

Seit 2011 werden die Broilers vom Toten-Hosen-Label JKP gemanagt. Drei Jahre später wechselte auch die Hip-Hop-Band Antilopen Gang dorthin. Sie ist ein Sammelpunkt von Mitgliedern der Düsseldorfer und der Aachener Hip-Hop-Szene, zeichnet sich durch intellektuelle und politische, häufig humorvolle und ironische, meist sehr kontrovers angelegte Texte aus. Ihr Sound unterscheidet sich stark vom verbreiteten deutschen Gangsta-Hip-Hop-Trash, sie verwenden echte Instrumente, die Raps sind durchdacht und verbreiten eine dezidiert linke Haltung. Mit ihrem Song „Beate Zschäpe hört U2“ prangern sie den bürgerlichen Extremismus im Lande an, in „Baggersee“ regen sie an, dort wo Deutschland ist, eine Atombombe zu zünden, um einen Baggersee entstehen zu lassen. „Atombombe auf Deutschland, dann ist Ruhe im Karton“ lautet der provokative erste Vers des Refrains. 2013 hätte der Freitod ihres depressiven Mitglieds NMZS die Band beinahe vor das Aus gestellt. Doch mit dem Wechsel zu JKP kam der Erfolg. Das Album Anarchie und Alltag, das ein weiterer Beleg für die intertextuellen Bezüge der Düsseldorfer Szene ist und natürlich auf Fehlfarbens Meisterwerk Monarchie & Alltag anspielt, landet 2017 auf Platz 1 der deutschen Charts und gewinnt den Musikpreis Echo in der Kategorie „Kritikerpreis national“.

In den vergangenen Jahren entwickelt sich Düsseldorf zunehmend zu einer spannenden Livemusik-Stadt. Das jährlich auf der Galopprennbahn stattfindende Open Source Festival (www.open-source-festival.de)steht unter der Schirmherrschaft des Oberbürgermeisters der Stadt. Im Jahr 2018 sind Tocotronic, Cigarettes After Sex und Joan As Police Woman als Headliner gebucht. Seit 2011 steigt darüber hinaus im Herbst das New Fall Festival, dessen Ausgangsidee einst war, dass stilvolle Musik in würdigem Ambiente aufgeführt werden sollte: Die Tonhalle Düsseldorf, der Symphoniesaal und das ehemalige Planetarium dienen als Spielstätten – genauso wie der Robert-Schumann-Saal und der hauseigene Konzertsaal des Museum Kunstpalast. Das Spektrum der Künstler reichte schon im ersten Jahr vom Kammerpop Ólafur Arnalds über die Reggae-Stars von Gentleman bis zu den Indiepoppern von Nouvelle Vague. Solche regelmäßigen Happenings sorgen dafür, dass auch die jüngere Generation in Düsseldorf weiterhin mit dem internationalen Stoff versorgt werden, aus dem vielleicht auch sie eines Tages ihre Träume gestalten – so wie Mitte der Sechziger Jahre, als Marius Müller-Westernhagen seine Vorbilder aus Beat und Rhythm and Blues hautnah erlebte. Und sie bietet jungen Künstlern aus der Stadt wie der Antilopen Gang eine Bühne.

Open Source Festival, © Sebastian Wolf
Eingang mit Flair: Museum Kunstpalast, © Düsseldorf Tourismus GmbH

Auf eine für Außenstehende faszinierende, oft aber auch irritierende Art und Weise ist sich Düsseldorf seiner beeindruckenden Popgeschichte bewusst. Es gibt und gab Tagungen, Ausstellungen und Veranstaltungen über die Großen des Pop in der Stadt, Kraftwerk selbst wurden 2017 bei ihrem Konzert im Ehrenhof wie heimgekommene, verlorene Söhne und Legenden gefeiert. Gleichzeitig hat sich, insbesondere in subkulturellen Kontexten, ein Gefühl der Sättigung verbreitet, das sich in Weinrichs Aussage wiederfindet, Düsseldorf züchte sich eine künstliche Idee von sich selbst als Musikstadt. Der Journalist Philipp Holstein von der „Rheinischen Post“ forderte in einem Artikel über Rüdiger Eschs zweites Symposium über die „Electri_City“, einmal noch dürfe sich Düsseldorf jetzt als Popstadt selbst feiern, dann allerdings müsse es den Blick für das Neue öffnen.

Doch an der Musealisierung alter Helden führt wohl kein Weg vorbei. Kraftwerk, längst ohne die zentralen Mitglieder Florian Schneider, Karl Bartos und Wolfgang Flür unterwegs und bestehend aus Ralf Hütter und drei sehr viel jüngeren Mitgliedern, sind ein Fall für Kunstausstellungen. 2012 führten sie ihr gesamtes Werk seit dem Album Autobahn im New Yorker Museum of Modern Art auf, im Folgejahr wiederholten sie das in ihrer Heimatstadt Düsseldorf und in der Londoner Tate Modern. Auch ihr früher Förderer Conny Plank erfährt inzwischen die Anerkennung, die ihm gebührt. Herbert Grönemeyers Label Grönland, das auch die drei NEU!-Alben wiederaufgelegt hat, feierte den Produzenten 2013 mit einer umfassenden Platten- und CD-Box Who’s That Man: A Tribute To Conny Plank. Sein Sohn Stephan widmete ihm vier Jahre später den intimen Dokumentarfilm „The Potential Of Noise“.
Wenn Düsseldorf nicht bequem werden will, muss es wie andere bedeutende Popmetropolen lernen, mit der Gleichzeitigkeit musealer Helden und neuer avantgardistischer Spielformen klar zu kommen. Sonst legt sich die beeindruckende Tradition wie eine Mehlschicht über alles, was neu entsteht. Mit ihrer kompakten Altstadt, die Krupps-Sänger Jürgen Engler an seine seit vielen Jahren enorm kreative neue Heimatstadt Austin erinnert, und mit der Kunstakademie hat die Stadt ideale Voraussetzungen, immer wieder frische kreative Köpfe anzuziehen, die mit neuen Ideen aufregende Popmusik erschaffen. Doch Kulturszenen altern und müssen sich frisch halten, um dem Neuen Raum zur Entfaltung zu verschaffen. An Orten wie dem Salon des Amateurs ist das immer wieder gelungen, weil sich eine kompromisslose, widerständige und unbequeme Grundhaltung nicht mit dem Bestehenden zufriedengibt. Diese Einstellung ist die Voraussetzung dafür, dass Düsseldorf auch weiterhin auf der Musiklandkarte bleibt. Und zwar auf der internationalen!

 

 

Dieser Text ist die überarbeitete, verlängerte Fassung des Kapitels „Düsseldorf: Menschmaschinen und Altstadtpunker“ aus dem Buch „Sound of the Cities. Eine popmusikalische Entdeckungsreise“, Kein & Aber 2016, ISBN: 978-3-9540-3091-0. Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Kein & Aber AG, Zürich.
www.keinundaber.ch/de/literary-work/sound-of-the-cities/
Im Buchhandel erhältlich.

Sound of #urbanana: Düsseldorf Playlist

 

 

Alle Düsseldorfer Popspots

Der Salon des Amateurs, © Markus Luigs

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Die "Bühne" des AK47, © Markus Luigs

AK47

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Gleis 17 am Düsseldorfer Hauptbahnhof, © Tourismus NRW e.V.

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Engelchen (inkl. Schaukelstühlchen & EX-Q-Stall)

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Eingang mit Flair: Museum Kunstpalast, © Düsseldorf Tourismus GmbH

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Zum Nachlesen

Ansicht auf den Digitalen Guide "Sound of #urbanana", © Tourismus NRW e.V.

Literatur

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Logo sound of #urbanana, © Tourismus NRw e.V.

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Club Bahnhof Ehrenfeld, © Ole Löding

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